Die wiedergefundene Zeit

Hermann Wolf

Mutmassungen zu Bildern von Andreas Jauss 1997 - 1998

Es seAkademie98, 96 piecesi eine erste Bemerkung gemacht, was das Anbringen der Bilder selbst, also deren gewuenschte Praesentation seitens des Kuenstlers betrifft. Die im Format einheitlichen Bildsegmente werden bevorzugt zu sogenannten Bloecken akkumuliert und montiert. Dies kann den Kuenstler gar dahinführen, den gesamten Ausstellungsort mit den Tableaus zu überziehen. Die Selektion, beziehungsweise die Auswahl der zu haengenden Bilder 1998-20,40x30cm,Acryl/Lwdscheint beliebig, lediglich das Vermischen der "Genres" (Zit. A. Jauss) ist dabei von Bedeutung.

Die bevorzugt dem Stadtraum entnommenen Sujets vermengen sich mit Innenansichten von Räumen (Interieurs), close-ups, den frühen film-stills vergleichbar, Motive, die der Künstler diversen Nachrichtenmagazinen, Reiseberichten oder dem vorhandenen Fundus der Bildarchive unserer Kunst-geschichte entnimmt.

Die1998-41,30x40cm,Acryl/Lwd,Sammlung Köllmannses Suchen und Auffinden der Themen, dieses Gemisch aus Aktualität, Vergessenem und noch Erinnerbarem, ist zugleich auch der Versuch, die "Ecksteine"*1 freizulegen, auf denen das Gebilde Wirklichkeit zu ruhen scheint: es ist der 1997-4,30x40cm,Acryl/LwdVersuch die Dinge - indem sie dekonstruiert werden - zu benennen.

"Was erzaehle ich wohl von diesem Augenblick? Warum sage ich von ihm ebensoviel wie vom folgendem? Wissen wir denn, was wichtig ist? Was für eine Anmassung liegt doch in der Wahl! - Betrachten wir lieber alles mit gleicher Aufmerksamkeit (...)" Dies die Forderung des Protagonisten aus André Gides Roman Paludes, um dann 1998-51,30x40cm,Acryl/Lwdfortfahrend sich selbst zu befragen "(...) Betrachten! Was sehe ich? Drei Gemuesehaendler ziehen vorbei. Ein Omnibus, schon. Ein Torwart fegt vor seiner Tür. Die Ladenbesitzer frischen ihre Schaufenster auf. Die Koechin geht auf den Markt. Schueler gehen zur Schule. Die Kios1998-28,30x40cm,Acryl/Lwd,Sammlung Köllmannke erhalten ihre Zeitungen; eilige Herren kaufen sie. Man stellt vor einem Café die Tische auf (...)"*2

Szenen einer scheinbar eingefrorenen Realität, Handlungs-momente, die in ihrer Alltaeglichkeit das Muster ihrer Wiederholung in sich tragen, selbstreferentielle Erfüllungen ohne Erkenntniszuwach1998-51,30x40cm,Acryl/Lwds, vollendet in ihrer temporaeren Einzigartigkeit.

Variationen dieser Partikularien sind Gegenstand der Bildwelt des Kuenstlers Andreas Jauss. Doch die Bilder zeigen uns keine starren, stabilen, gesicherten Identitäten; dieses Verharren ist und bleibt truegerisch, es sind im aeußersten Falle gar antizipierte Katastrophen, ein de1998-13,30x40cm,Acryl/Lwdstabilisiertes Gefüge, welches die Schnittstelle markiert von noch nicht Geschehenem und den Implikationen einer wie auch immer gearteten action.

Neben dem Versuch, sich unserer sensualistisch wahrnehmbaren Umgebung zu versichern, findet hier vor allem auch der Versuch statt, das Problem der Repraesentation zu reflektieren, was eine Befragung erfordert nach Abbildhaftigkeit des modernen Lebensgefuehls und den alltaeglich gemachten Erfahrungen. "Die Lage wird dadurch kompliziert, dass weniger denn je eine einfache ‘Wiedergabe der Realitaet’ etwas über die Realitaet aussagt. Eine Photographie der Kruppwerke oder der AEG ergibt beinahe nichts über diese Institute. Die eigentliche Realitaet ist in das Funk1998-27,30x40cm,Acryl/Lwdtionale gerutscht: die Verdinglichung der menschlichen Beziehungen, also etwa die Fabrik, gibt die letzteren nicht mehr heraus. Es ist also tatsaechlich ‘etwas aufzubauen’, etwas ‘Kuenstliches’, ‘Gestelltes’. Es ist also ebenso tatsaechlich Kunst noetig."*3

Wenn die Wirklichkeit gemaess B. Brecht also tatsächlich eine Konstruktion ist, dann unterliegt das Unterfangen des Kuenstlers dem Streben nach Wiederaneignung von Wirklichkeit*4. Das fokussieren von Bruchstellen, Uebergaengen, von Zeit-Raum-Konstellationen, das Zerschneiden und 1998-31,30x40cm,Acryl/LwdZergliedern der Dinge, um diese dann erneut wiederum als sogenanntes Ganzes zusammenzufügen, ist dem zapping als Funktionsprinzip, oder sollte man sagen als Organisationsprinzip von Bildhaftigkeit und Au1998,30x40cm,Acryl/Lwd,Privatbesitzssagebedingung, analog; dort, wo sich taeglich ein millionenfaches Publikum auf millionenfache Weise individuell bedient und das Angebot der Bilder, dank dem vertrauten Umgang mit der Fernsteuerung, auf seine Weise millionenfach unterschiedlich anordnet. Zudem beweist uns das taegliche Konsumieren von Fernsehbildern, dass beim Eintritt der Katastrophe, i1998-3,30x40cm,Acryl/Lwd Detailn Form eines Erdbebens, eines Feuerbrandes, einer Flutwelle - die Liste wäre an dieser Stelle ohne weiteres fortsetzbar - Naturgewalten in sekundenschnelle ein lang vorbereitetes und gesichertes Gefüge zerreissen: es tut sich was.

Wechseln wir den Sender und es tut sich was - und sei es auch nur das Angebot einer verbesserten Wa98-02schemulsion - versuchen wir, die Intervalle immer kuerzer zu legen, zappen wir konsequent und es wird uebrigbleiben, das gezappte, prophetische Rauschen des guten, alten Fernseh(schluss)bildes von ehemals: wir haben sie wiedergefunden, die Zeit.

Zeit Minuten

*1 Paul de Man in: Derrida,Jaques Memoires ; für Paul de Man, Passagen 1988

*2 Gide, Andre´ Paludes Suhrkamp,1960

3* Brecht,B. Breuer,Gerda (Hrsg) Aussenhaut+Innenhaut;Photographie und Architektur, Henry van der Velde Gesellschaft Hagen 1997

4*vgl. Konstruktivismus; Geschichte und Anwendung DELFIN 1992. Suhrkamp, Wissenschaft

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